Dieser Beitrag, der den ersten Band des Bestsellers von 50 Shades of Grey kritisch behandelt, erschien zuerst bei unseren Freunden von JungeSMünchen von der Autorin MissChief.


Ich habe mir durch Buch, Film und Metatexte eine Meinung gebildet und sie mit anderen diskutiert. Ich wollte von Anfang an nicht nur über etwas herziehen, sondern besprechen und sammeln. Letztenendes habe ich allerdings festgestellt, dass ich das Buch nicht in den höchsten Tönen loben muss und kann.

BDSM kommt in die Öffentlichkeit…

Wir dürfen uns als SMler nicht nur beschweren. Shades Of Grey hat eine mediale Welle um SM ausgelöst, wie wir sie uns vor fünf Jahren niemals hätten erträumen lassen. So viel Aufmerksamkeit für ein Thema, das sich aus der Schmuddelecke erst herausarbeiten musste.

Nach dem Erscheinen des Films so viele gute Zeitungsbeiträge, die gut recherchiert waren und nicht nur das Klischee bedienen. Ich bin erstaunt! Viele Medien schreiben, SM sei mittlerweile salonfähig – ich denke, ganz so weit ist es noch nicht. Aber ein Thema hat es auf den Tisch geschafft, das bisher nur nach den Flusen am Tischbein gesucht hat. Es wird teilweise seriös berichtet und daran gearbeitet, dass BDSM als spicy Einlage im Sexleben problemlos funktionieren kann.

Die Frau an sich beschäftigt sich plötzlich mit ihrer Sexualität, sie geht in den Erotik-Shop ihrer Wahl und bringt ihrem Freund bei, was sie will! Na, wenn das mal nicht nach sexueller Selbstbestimmung klingt, wohoo!

Aber ich finde, es hätte doch ein anderes Buch sein können. Ein besser geschriebenes zum Beispiel. Oder eines, hinter dem die Autorin zu stehen vermag. Ich vermisse ja irgendwie die Begeisterung hinter dem Werk. Eine J.K. Rowling hingegen ist auch nach dem Beenden der Buchreihe noch Feuer und Flamme für das Thema und die Fans. Oder eines, in dem die Hauptcharaktere cooler und kompetenter sind. Eines, bei dem die Frage nach der Emanzipation nicht aufkommt, weil sie im Buch schon geklärt ist. Eines, in dem über die Hauptbegriffe des BDSM hinaus auch noch die Menschlichkeit zum Tragen kommt.

Aber so müssen wir als SMler eben damit arbeiten, was wir vor der Nase haben. Jeder Erotik-Roman in Gegenwart und Zukunft wird sich an der tiefhängenden Shades-of-Grey-Latte messen müssen. Jeder. In Zukunft haben wir nicht nur das Lack-Leder-Peitschen-Domina-Klischee, das wir erklären müssen, sondern auch noch das des in der Kindheit misshandelten Millionärs.

50 Shades of Grey ist und war ein Hype

Das praktische an Shades Of Grey ist: es ist genügend BDSM dabei, um es spannend zu finden, und wenig genug, um ihn zu überblättern; so ist für jeden etwas dabei. Die Bücher sind durch Mundpropaganda sehr erfolgreich geworden und über 100 Millionen Mal international verkauft worden. Das ist viel. (Bleibt aber glücklicherweise hinter den 107 Millionen des allein ersten Harry Potter-Bandes zurück. Glaube an die Menschheit, ich habe dich noch nicht ganz aufgegeben.)

Was hat also dafür gesorgt? Erotische Geschichten gab es davor auch schon. SM auch. Aschenputtel-mäßige Liebesgeschichten auch. Womöglich war es also die Mischung?

Ich denke, die weibliche Sicht hat sicher auch mit den Ausschlag gegeben. Frau hat es sich gegenseitig zum Geburtstag geschenkt, oder man hat es verschämt in der Buchhandlung mitgenommen, es war das Buch, das vor allem frau gelesen haben musste.

Der Reiz an den Büchern: Es ist zum einen mal etwas anderes und nicht immer die gleiche „Wir küssen uns zu Tode und heiraten“-Geschichte, wie eine meiner Freundinnen sagte. Eine andere Freundin gesteht dem Buch definitiv hohen Schnulzencharakter zu mit ein bisschen SM-Charakter im Spielzimmer. Es sei leicht zu lesen, es rege einen zum Weiterlesen an, manchmal sei es auch überraschend, welche Wendung die Handlung nehme. Beide sagen, es habe definitiv Gedanken in die Richtung angeregt, vorher konnte man sich halt nichts genaues vorstellen. Es hat zum Ausprobieren verlockt, die nicht ganz prüden Leute reden drüber, es ist ein Blick in eine andere Welt.

Ein schönes Märchen, wie es für die ein oder andere Frau in ihren Träumen laufen könnte. Aber sie geben selber zu, dass die Realität wahrscheinlich doch anders aussehen sollte. Selbst E.L. James kann es ohne rosa Brille sehen: Über ihren Helden urteilt sie, er sei lediglich „auf dem Papier sehr attraktiv“. Im Alltag wolle man doch aber wohl eher einen, der die Spülmaschine ausräumt.

Teilweise hinken die Ereignisse im Buch

Es gibt einfach ein paar Dinge, die im Buch und im Film passieren, die ich nicht unkommentiert stehen lassen möchte. Wo ich ein ganzes Regal habe, aus dem ich auswählen kann. Hier ein bisschen, hier ziemlich viel, da ein großer Batzen.

Der Vertrag

Es mag Verträge in funktionierenden D/s–Beziehungen geben, aber bei Christian Grey ist dieser nur eine Fortführung seines Kontrollwahns, welcher mit reellem BDSM wenig zu tun hat. Kontrolle auch außerhalb des Bettes oder Spielzimmers ist in der Realität nämlich eher selten.

Bei BDSM geschieht das, was Du willst und in dem Rahmen, in dem du es willst. Wenn du einen Vertrag willst, dann musst du das eben mit deinem Partner ausmachen. Und wenn nicht, dann gehörst du zu der überwiegenden Mehrheit, die ihren Spaß auch ohne hat.

Konsequenz sieht anders aus

Was mich ja an Menschen genauso wie an Buchcharakteren stört, ist Inkonsequenz. Christian Grey gibt gegenüber Anastasia an, dass er ja nie Blümchensex haben könne. Und doch gibt es die eine oder andere Szene im Buch, in der die hoch angepriesenen SM-Anteile mal hinterm Vorhang verschwinden.

Christian sagt, er würde nur mit unterschriebenem Vertrag irgendwas mit ihr machen und hängt der Idee lange nach – er verhandelt recht lange mit ihr, welche Details nun gelten und welche nicht. Zumindest im ersten Buch. Wer aber vögelt sich ohne unterschriebenen Vertrag durch die Weltgeschichte?

Und am Ende des ersten Buches verlässt Anastasia Christian, obwohl sie beide einander nicht verlieren wollen. Sie wurde von Christian, nachdem sie ihn darum gebeten hatte, sechs Mal mit einem Gürtel auf den Hintern gehauen und ist danach entsetzt von seiner Abartigkeit. 25 Seiten zuvor wird sie zwar noch auf ihre Safewords hingewiesen, die sie dann aber nicht verwendet. Innerhalb eines Absatzes hat sie ein unerklärlicher Sinneswandel heimgesucht und sie bezeichnet ihn als „abgefuckten Dreckskerl“, lässt keine Erklärung zu und verweigert körperliche Nähe, die in so einem Moment sicherlich gut tun könnte. Sie will auch nicht ausloten, ob die Beziehung nicht einfach so weitergehen kann, wie sie bisher gelaufen ist. Schwuppdiwupp verlässt sie ihn schweren Herzens und tränenüberströmt. Eine Gelegenheit, sich galant mit der Handfläche gegen die Stirn zu schlagen.

Eine andere schöne Szene, die im Buch aber leider nicht als Vergleich herangezogen wird: Sie wird in der Mitte des Buches in einer leidenschaftlichen Szene mit einer Gerte („Er zeigt mir eine Gerte. Sie ist aus braunem Leder“ auf Seite 370) auf die Klitoris gehauen und nach einigen Schlägen kommt sie „stöhnend und laut schreiend“ auf Seite 374. Vergleiche man das mal mit Gürtel auf den Hintern! Orgasmus versus Grund zum Verlassen? Ah ja.

Bei Shades of Grey geht es nicht um BDSM

In dem Buch wird ja immer von diesem mysteriösen BDSM berichtet, es gibt ein Spielzimmer und einen Vertrag, auch wenn dieser nie unterschrieben wird. Christian Grey spricht von Erziehung, doch das einzige was Ana lernt ist: „Ja, Sir“ und seinen einfachen Anweisungen Folge zu leisten. Es wird angeblich in die Welt des BDSM eingeführt, man kann sich als Leser fast etwas sehr Verruchtes darunter vorstellen.

Fakt ist, das in dem Buch die BDSM Anteile immer in überwältigenden Orgasmen beiderseits enden. Als Leser lernen wir vermeintlich: Mit kinky Sex haben wir drei „alles verschlingende Orgasmen“ innerhalb von zwanzig Minuten. Wow! Wenn man das nur nachmachen könnte. Sex ist bei Christian Grey BDSM. Der Haken an der Sache ist nur: BDSM ist nicht Sex. Das eine hilft dem anderen und bereichert es. Aber es soll mir jetzt erstmal jemand glaubhaft versichern, dass die Technik Orgasmus eigentlich dem BDSM zuzurechnen ist und derer sich alle Vanillas bedienen. Die sind ja doch alle pervers! In 50 Shades of Grey geht es nicht um Kink. Es geht um eine Liebesgeschichte, das „nicht-die-Finger-voneinander-lassen-können-Oh-mein-Gott-ist-er-heiß“, verdammt viel Sex, noch viel mehr kräftezehrende Orgasmen und ein paar Klischees. Aber es ist kein BDSM-Roman!

Die verpasste Chance endlich aufzuklären

E.L. James ist sich ihrer Verantwortung anscheinend nicht bewusst. Aber wie viel Macht sie doch hätte! Sie könnte so viele Menschen auf einen Schlag über BDSM aufklären und tut das nur kaum mehr als notdürftig.

Jawohl, dank ihr wissen jetzt alle junge und nicht mehr so junge Frauen, was Dom und Sub sind, aber die Gefühlswelten im SM lässt sie total unerwähnt. Anastasia gefallen die Praktiken, aber sie würde nie von sich aus BDSM betreiben, so kommt es zumindest rüber. Es ist immer Christian, der der klare Befürworter der SM-Praktiken ist. Und dennoch hat sie ja durchaus Gefallen daran, und es kann mir keiner erzählen, dass sie nur wegen der mechanischen Stimulation endlos oft zum Orgasmus kommt. E.L. James versäumt es, dass sich Anastasia mit dem Geschehenen identifiziert, obwohl sie offensichtlich Spaß hat.

Sie ist keine Heldin, die selbstbestimmt sagt, was ihr gefällt oder was sie bevorzugt. In dem Buch sagt sie nicht einmal, dass Christian bitte etwas Spezielles tun soll. Sie lässt immer mit sich geschehen und würde von selber nie etwas anstoßen. Weil sie nämlich keine Ahnung von ihrer eigenen Sexualität hat.

E.L. James hat Anastasia aber leider so geschrieben. Anastasia könnte eine Frau sein, die mit der Emanzipation ringt, die reflektiert, was ihr gefällt. Die sortiert, welche Blumen der Spielwiese BDSM ihr am besten gefallen. Die auch nachher darüber reden kann. Zumindest im ersten Teil, der zweite soll dahingehend besser sein. Dabei wäre es so einfach gewesen, im Buch ausführlich über Gedankengänge und inneres Ringen der Personen schreiben.

Die Geschichte funktioniert und ist glaubhaft, wenn…

… man davon ausgeht, dass sie eine sexuell komplett unerfahrene Frau ist, mit ein paar Fantasien in Richtung SM: ein bisschen fesseln ist ok, gegen leichte Haue ist auch nichts einzuwenden. Er ist ein psychisch angeknackster Mann mit Misshandlungsvorgeschichte. So kann man die Story sehen und sie als glaubwürdig einstufen. Ansonsten leider ziemlich realitätsfern, denn mit realem BDSM haben Buch und Film wenig zu tun. Für ihn ist SM ja in erster Linie eine Bewältigungsstrategie und die einzige Möglichkeit überhaupt etwas in Richtung Liebe zu denken. Für sie ist BDSM das Eingeständnis, das sie macht, um mit Christian zusammen zu sein. (Wir erinnern uns an: „Ich will genauso wenig bestraft werden, wie du dich von mir anfassen lassen willst.“ auf Seite 587)

E.L. James hat gar nicht so schlecht recherchiert, aber…

In manchen Dingen hat E.L. James ja ganz gut recherchiert. Die wesentlichen Begriffe wie Dom und Sub und die ganzen Spezialbegriffe sind größtenteils erklärt. Christian weist auch vorbildlich darauf hin, dass er nichts tut, was sie nicht will und dies auch im Vorhinein auch mit ihr abklärt. Er sagt auch, dass sie unbedingt miteinander reden müssten, das sei nämlich die Grundlage dafür, dass diese Art von Beziehung überhaupt funktionieren könne. Man müsse außerdem ehrlich miteinander sein. Er vertritt ja augenscheinlich vorbildlich das Prinzip SSC (Safe, Sane, Consensual).

Was passiert aber? Sie reden nie über das Erlebte. Er stalkt sie vollkommen gegen ihren erklärten Willen. Er ist überaus zurückhaltend, was Ehrlichkeit seinerseits angeht. Außerdem: Kabelbinder? Das alles, liebe Kinder, ist leider nicht SSC. Joa, schön informiert, aber leider nicht umgesetzt, E.L. James!

Shades of Grey ist eine Liebesgeschichte mit kinky Anteilen

Ok. Ich fasse zusammen: Schön, wenn es einen Auslöser gab, der die Diskussion um BDSM angeregt hat. Ich finde, es hätte nicht unbedingt dieses Buch sein müssen, aber gut. Man kann langsam aufhören, das Phänomen als SM-Roman oder SM-Film zu bezeichnen. Es ist eine Liebesgeschichte mit ein paar kinky Anteilen, mehr nicht. Und bitte, glaubt 50 Shades of Grey nicht alles und seht es auch nicht als Bedienungsanleitung, denn dafür ist es zu weit vom gesunden Menschenverstand entfernt.

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