Erlaubt ist was gefällt? Wie sieht das Strafrecht zum Thema BDSM aus? Wir haben Jurist und Insider Valentin Sitzmann zum Thema BDSM und verschiedenen Situationen befragt. Der 57-jährige beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Fällen und Rechtsprechung, in denen BDSM zum Thema wurde.

Disclaimer: Die Basics zur BDSM-Gesetzeslage findet ihr hier. Dieses Interview dient nicht als Leitfaden, sondern ist vielmehr eine mögliche juristische Sichtweise zu bestimmten fiktiven Situationen. Im Strafrecht bedarf es immer der individuellen Betrachtung aller Umstände – auch wenn es um BDSM geht. Dies machte die Beantwortung unserer Fragen sehr umfangreich. Daher haben wir versucht die Antworten simpel zu halten und sie auf das Wesentlichste eingekürzt.


Einwilligung – So sieht es das Gesetz

Wir wissen, dass einvernehmliche Körperverletzung nicht strafbar ist. Muss ich denn wirklich aussprechen: „Ja, ich will das“? Oder reicht es, das durch mein Verhalten zu signalisieren?

Dr. Sitzmann: Das Verständlichmachen einer Einwilligung ist an keine Form gebunden. Es gibt nur zwei Grundvoraussetzungen: Es muss vor der Handlung klar sein, dass der/die Passive einverstanden ist und es bedarf eines wie auch immer gearteten Kommunikationsvorganges.

Außerdem darf die Einwilligung nicht auf Willensmängeln beruhen. Das heißt, der/die Einwilligende muss sich selbst über die Tragweite seiner Erklärung bewusst sein. Werden vor der Session etwa Drogen oder Alkohol eingenommen, so kann die Wirksamkeit der Einwilligung fraglich sein. Vor jeder einzelnen Handlung positiv zu sagen, man wolle, dass Dom:me jetzt auf die linke Po-Backe schlägt, dann auf die Rechte und dann noch „Sau“ sagen darf, ist wenig praktikabel, weil dann jeder Reiz hinüber ist. Besser ist der umgekehrte Weg: Dann, wenn man nicht mehr mit etwas einverstanden ist, dies sofort zu signalisieren. Entweder durch ein Sicherheitswort oder einen sonstigen vorher vereinbarten Code. Ist ein Sicherheitswort vereinbart und bleibt es aus, so liegt eine Einwilligung vor.

In jedem Falle muss die Einwilligung die Handlung abdecken: Wer also eine Einwilligung gibt, beispielsweise mit einem Flogger geschlagen zu werden, darf nicht mit einem Branding und gezogenen Fingernägeln aus der Session herausgehen.

Wie sieht es aus mit schriftlichen Abmachungen, haben die Bestand?

Dr. Sitzmann: Entscheidend ist alleine, ob im Zeitpunkt der Ausführung der Körperverletzungshandlung eine Einwilligung gegeben ist.

Die Vorstellung, man habe etwas Schriftliches in der Hand, es könne jetzt nichts passieren, wäre eine Fehlvorstellung. 

Viele Menschen glauben, mit einem Schriftstück im Streitfall etwas beweisen zu können und auf der sicheren Seite zu stehen. Dies funktioniert bei der Einwilligung in sado-masochistische Handlungen deswegen nicht, weil entscheidend ist, wie genau zum Zeitpunkt der jeweiligen einzelnen Handlung die Einverständnislage ist. Kommt es während der Session zum Widerruf der Einwilligung, ist egal was auf dem Papier steht.

BDSM Strafrecht im Streitfall – Ich habs mir mit der Einvernehmlichkeit anders überlegt…

Was ist, wenn Sub sich nach einer einvernehmlichen Session nicht gut fühlt und die Meinung zur Einvernehmlichkeit im Nachhinein ändert? Kann man die Einwilligung nachträglich zurücknehmen?

Dr. Sitzmann: Nein, man kann im Nachhinein eine zum Zeitpunkt der Aktion vorliegende Einwilligung nicht zurücknehmen.

Sie sprechen mit dieser Frage ein Riesenproblem an. Und zwar tritt ein solches Verhalten immer dann auf, wenn Sub sich im Nachhinein sehr schlecht behandelt, ausgenutzt oder sich missbraucht fühlt. Diese Konstellation, die Sie hier beschreiben ist das tägliche Brot eines Strafverteidigers auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts (da geht es dann um den nicht einverständlichen Geschlechtsverkehr). Tatsächlich war zum Zeitpunkt des Zusammentreffens die sexuelle Betätigung einvernehmlich.

Der Eindruck sehr schlecht behandelt, ausgenutzt oder missbraucht worden zu sein, ist erst im Nachhinein eingetreten und ändert nichts an der Einvernehmlichkeit.

Was passiert wenn nach einer einvernehmlichen Session, vielleicht wegen einem Streit, mein:e Sub mich wegen Körperverletzung anzeigt? Wie kann ich beweisen, dass alles SSC/einvernehmlich war?

Dr. Sitzmann: Tja, da könnte man auch fragen: Wie kann man nach dem Sex beweisen, dass er einvernehmlich war? Möglicherweise kann man auf „Referenzen“ zurückgreifen. Wenn die Person, die auf so eine Racheidee kommt nicht gerade der/die allererste BDSM-Partner:in ist, so kann man gegebenenfalls auf andere Partner:innen zurückgreifen. Die können SSC-konformes Vorgehen in der Vergangenheit bestätigen.

Ich rate im übrigens jedem, leere Anschuldigungen bleiben zu lassen. Die falsche Bezichtigung ist nämlich strafbar. Kommt heraus, dass doch alles einvernehmlich war, wird es für Sub aus dem Beispiel sehr unangenehm. Für eine falsche uneidliche Aussage gibt es als Mindeststrafe drei Monate Freiheitsstrafe.

BDSM und Strafrecht: Was zu weit geht

Gibt es Praktiken, die in jedem Fall strafbar sind, die man besser nicht machen sollte?

Dr. Sitzmann: Faustregel: Alles was zwischen zwei Menschen mehrmals wiederholbar ist, ist grundsätzlich im grünen Bereich. Das ist aber eine sehr grobe Faustregel, die dringend der Kontrolle und Erläuterung bedarf.

Körperverletzung ist trotz Einwilligung strafbar, wenn die Tat als solche „gegen die guten Sitten“ verstößt. Freilich kommt man beim BDSM mit der Definition „sittenwidrig ist was dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht“ nicht sehr weit. Maßgeblich sind jedoch zwei Dinge:

Zum einen die Geltung des Grundgesetzes. Die Ausübung von Sexualität und die sexuelle Selbstbestimmung unterfallen der Menschenwürde und der allgemeinen Handlungsfreiheit und sind daher geschützt.

Zum anderen werden Sexualdelikte nicht mehr als Delikte gegen die guten Sitten, sondern gegen die sexuelle Selbstbestimmung angesehen. Lange Zeit war nicht so ganz klar, wie das mit der Sittenwidrigkeit und SM ist. Inzwischen ist es jedoch so, dass in schwere und lebensgefährliche Körperverletzungen nicht eingewilligt werden kann.

Also alles, was bleibende Schäden anrichtet, ist verboten. Alles, was in seinen Folgen unumkehrbar ist, auch.

BDSM in der Öffentlichkeit

Wie ist das, wenn eine außenstehende Person eine BDSM-Aktivität beobachtet und zur Polizei geht, weil er oder sie ein Verbrechen vermutet? Wird da gleich ermittelt? 

Dr. Sitzmann: Immer dann, wenn Außenstehende, die mit SM nichts am Hut haben damit konfrontiert werden, wird es kritisch. Behauptet jemand, einen Vorgang beobachtet zu haben, der zureichende Anhaltspunkte für eine Straftat begründet, so müssen Ermittlungen eingeleitet werden. Einen kleinen Anker gibt es aber hier noch: Natürlich wird ein Polizeibeamter schon fragen, wo der/die Anzeigenerstatter:in etwas beobachtet haben will. Erzählt der, dass er direkt aus einer SM-Veranstaltung kommt, sieht die Lage natürlich anders aus…

Bekomme ich Probleme, wenn ich meine Neigungen zu öffentlich auslebe? Zum Beispiel jemand – natürlich mit dessen/deren Zustimmung – auch in der Öffentlichkeit „erziehe“?

Dr. Sitzmann: Public humiliation, eine öffentliche Demütigung, hat einen besonderen Reiz. Realität und magische Fantasiewelt treffen aufeinander. Ich wäre mit öffentlichen Vorführungen extrem vorsichtig. Solange kein Sexualbezug erkennbar ist, passiert meistens nichts. Es kann höchstens  sein, dass sich Passant:innen einmischen und man dann in Erklärungsnot kommt.

Ganz problematisch sind solche Fälle, in denen jemand öffentlich ausgesetzt wird. Wird Sub gefesselt in der Öffentlichkeit zurückgelassen, kann es sehr teuer werden. Wenn nämlich jemand meint, der/die Angekettete ist Opfer einer Straftat geworden und befindet sich in hilfloser Lage. Dann kann es schon sein, dass der/die Verursacher:in die Kosten des Einsatzes zu tragen hat. Im ungünstigsten Falle wird wegen Vortäuschens einer Straftat gegen die Beteiligten ermittelt. Ausgang: Offen!

Ab wann ist BDSM Erregung öffentlichen Ärgernisses?

Dr. Sitzmann: Wenn Menschen in der Öffentlichkeit mit dem sexuellen Verhalten eines oder mehrerer anderen Menschen ungewollt konfrontiert werden. Und zudem auch nur eine:r der Beteiligten es auch ganz genau darauf anlegt. Da gibt es so als Richtschnur einige konstruierte Fälle die man gut voneinander abgrenzen kann.

Jemand besucht beispielsweise den CSD und begibt sich mit der U-Bahn zum Demonstrationsort, wobei er oder sie schon als hübsches Pony verkleidet ist. Hier passiert in der Regel nichts, weil der Sexualbezug nicht erkennbar ist.

Führt Dom:me seinen/ihren „normal angezogenen“ Sub, lediglich mit einer Leine versehen am Samstag nach 23 Uhr durch die Leopoldstraße in München, dann passiert normalerweise auch nichts. Einfach weil sich niemand daran stört.

Kommt aber jemand auf die Idee gut sichtbar einen öffentlichen Marterpfahl aufzustellen, dort eine:n Willige:n anzuketten und dann eine „public ball busting party“ zu veranstalten, dann gibt es einen Riesenärger. Die Einleitung eines Strafverfahrens und ein saftiger Zeitungsartikel sind sicher.

Ich kann also alle Mitglieder der Community im Prinzip nur beschwören, solche öffentlichen Vorführungen mit klar erkennbarem SM-Bezug außerhalb expliziter Veranstaltungen nach Möglichkeit sein zu lassen.


Portrait von Dr. Valentin Sitzmann an einem Steg.
Dr. Valentin Sitzmann.

Dr. Valentin Sitzmann, ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Erfurt und kennt die Geschichte von BDSM und Rechtsfällen in Deutschland wie kaum ein zweiter. Bereits 1991 hat er sich in einer Abhandlung zum Thema „Zur Strafbarkeit sado-masochistischer Körperverletzungen“ ausgelassen.

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