Disclaimer: Dieser Beitrag über Sensory Deprivation bezieht sich auf Menschen, die über fünf Sinne verfügen. Natürlich ist diese BDSM-Spielart aber auch für Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen möglich.
Was ist Sensory Deprivation?
Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten stehen den meisten Menschen als Sinne zur Verfügung. Im BDSM spielt man gerne mit diesen, entzieht, manipuliert oder betäubt sie mit Hilfe verschiedenen Equipments. Sensory Deprivation lautet der Fachausdruck, frei übersetzt also Sinnesentzug. Deprivation stammt dabei vom lateinischen „deprivare“ ab, was in etwa so viel wie „berauben“ heißt. Oft ist auch von „Sensation Play“, also dem Spiel mit den Sinnen, die Rede.
Mit Hilfe von verschiedenen Mitteln werden ein oder mehrere Sinne einer oder eines Bottom durch eine:n Dom eingeschränkt, was wiederum die anderen Sinne schärft oder die unten spielende Person komplett hilflos macht. So oder so, eine intensive Erfahrung für die passive Person.
Sensory Deprivation kann gleichermaßen Spiel wie Belohnung sein. Ein:e Fetischist:in, in ein Latex-Vakuumbett zu stecken, kann beispielsweise eine Form von Belohnung sein. Zur Bestrafung kann Sinnesentzug dann werden, wenn man jemandem damit eine Lustquelle entzieht oder die Person dadurch abschottet. Hier gilt allerdings große Vorsicht.
Was ist das Besondere an dieser Spielart?
Bestimmte Formen von Sinnesentzug hat jede:r schon erlebt und mit diesen gespielt. Das macht diese Spielart im ersten Moment „anfängerfreundlich“. Eine Augenbinde beispielsweise findet sich sicherlich auch in einem Vanilla-Haushalt. Die Steigerung, Kombination und auch das Mind Play, also das Spiel mit den Gedanken, welches mit diesem einhergeht ist das Reizvolle. So kann aus etwas, das zuerst als harmlos wahrgenommen wird, schnell ein intensives und auch erotisches Erlebnis werden.
Sensory Deprivation unterdrückt und manipuliert einige der Sinne, was die anderen automatisch schärft und eine Kettenreaktion im Kopf des oder der Bottom auslöst. Schränkt man das Sehen ein, wird das Hören besser, da die Geräusch-Empfindsamkeit steigt. Nimmt man das Hören, so wird die Luft durch die Nase eingesogen, in der Hoffnung bekannte Gerüche wie das Hanf eines Seils zu erkennen. Sinne und Wahrnehmungen die sonst nur beiläufig erlebt werden, rücken in den Vordergrund.
Was braucht man für den Sinnesentzug?
Jeder der fünf Sinne kann auf eine eigene Weise manipuliert bis entzogen werden. Die beliebtesten Mittel hierfür sind: Augenbinde, Atem- oder Gasmasken, Ohrenstöpsel, Knebel und Fesseln. Die Möglichkeiten sind allerdings endlos und lassen sich an die teilnehmenden Personen und Bedürfnisse anpassen.
Simple Beispiele sind zum Beispiel ein Parfum, dass immer zur Session getragen wird oder Duftkerzen, um den Geruchssinn zu manipulieren. Extremer wäre Pfefferminzöl unter der Nase aufzutragen oder eine Maske ohne Nasenlöcher. Es gibt „blinde“ Kontaktlinsen und auch In-Ear Kopfhörer, die man mit Brown oder White Noise bespielen kann. Den Geschmack kann man ein Stück weit über die Nase manipulieren, aber auch Knebel, bestimmte Lebensmittel oder auch getränkte Stoffstücke können diesen Sinn vernebeln. Für die physische Einschränkung gibt es Monohandschuhe, Bondage und tausend andere Möglichkeiten, jemanden immobil zu machen und am fühlen zu hindern. Alles ist beliebig erweiterbar und jede Form von Extremen ist möglich.
Extreme Sensory Deprivation ist gar nicht so unüblich in der BDSM-Szene. Latex-Vakuumbetten oder Vakuumwürfel umschließen den ganzen Körper, mitunter auch den Kopf. Ebenso sind Mumifizierung in Plastikfolie, mit Bandagen oder Seil ein eigener Fetisch, der oft zusätzlich mit Gasmasken kombiniert wird. Diese schränken noch mehr die Sinne ein. Es gibt betäubende Cremes, die Hautstellen und Körperteile „lahm“ legen und diese taub werden lassen – eine Form des Tunnelspiels. Auch hier sind der Fantasie fast keine Grenzen gesetzt.
Was ist bei Sensory Deprivation wichtig?
Tragt das Equipment vorher zur Probe, um herauszufinden, wie intensiv die Wirkung ist. Wenn ihr Sensory Deprivation nur zur Intensivierung einer Spielart nutzen wollt, macht euch bewusst, welchen Einfluss das haben kann. Eine Augenbinde beim Fesseln intensiviert die Wahrnehmung des Seils, schafft beim Knife Play mehr Angst und kann bei einer Impact-Session die Schläge unvorhergesehen und heftig werden lassen.
Sprecht daher vorher über eure Grenzen und Limits, erreicht gemeinsam eine Einvernehmlichkeit für diese Situationen und klärt eure Safewörter, auch die nonverbalen, eindeutig ab. Klärt eindeutige Gesten, die eurem oder eurer Sub, die Möglichkeit geben, nonverbal zu reagieren. Verliert jemand die Fähigkeit von Hören, Sprechen und Handzeichen, dann müssen andere Wege gefunden werden um „mehr“, „weniger“ oder „Positionswechsel“ auszudrücken. Braucht ein:e Sub während einer Session Zeichen von Lob, Zuneigung und Sicherheit, kann diese aber nicht hören, so müssen hier Gesten oder vielleicht sogar Gerüche gefunden werden. So unendlich die Möglichkeiten sind, Sinne einzuschränken, so spannend ist es, die anderen für die Bedürfnisse zu sensibilisieren.
Ist Sensory Deprivation gefährlich?
Sensory Deprivation wird auch viel in der Bewusstseinsforschung genutzt. So gibt es ganze Tanks, in denen alle Sinne unterdrückt werden. Auch in der Esoterik und der Meditation ist kurzzeitiger Sinnesentzug zur Steigerung der Selbstwahrnehmung und Konzentration beliebt. Allerdings können bei längeren und intensiven Anwendungen Halluzinationen, Panik und Bewusstseinsveränderungen auftreten.
Die UN-Menschenrechtscharta und die Europäischen Menschenrechtskonvention betrachten Sinnesentzug über lange Zeit und in extremer Form als Folter. In Gefangenenstätten wie Guantanamo wird vollständiger Sinnenetzug in Verbindung mit Schlafentzug als sogenannte „Weiße Folter“ eingesetzt, da hier keine sichtbaren Folterspuren verbleiben.
Im BDSM findet Sensory Deprivation aber immer in einem eingewilligten, abgesprochenem Rahmen statt. Trotzdem ist es wichtig, sich dieser Dinge bewusst zu sein. Während viele Mittel zum Sinnesentzug anfangs recht harmlos klingen, so werden sie über einen Zeitraum und mit steigender Außenwirkung intensiver und intensiver. Durch die fehlenden Einflüsse kann man einerseits besser in sich hinein hören und Erfahrungen erleben, gleichzeitig werden aber auch die Ausgleichsmöglichkeiten für Diskomfort und negative Empfindungen geringer. So kann es schnell zu emotionaler Irritation und Panik oder Angstzuständen kommen. Seid also äußerst aufmerksam und einfühlsam.