Was bedeutet eigentlich Queer?
Beschäftigt man sich mit BDSM und der BDSM-Community, so begegnet einem unter anderem immer wieder der Begriff „queer“. Dabei handelt es sich um ein Adjektiv, das als Sammelbegriff für eine sehr diverse Personengruppe aus der LGBTQ+ Community steht. Er steht inzwischen für Menschen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der heteronormativen Vorstellung entspricht. Heteronormativ wiederum bedeutet, dass man sich zum anderen Geschlecht hingezogen fühlt und sich selbst seinem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht zugehörig fühlt. Als nicht-heteronormativ gelten beispielsweise Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen.
Daneben kommt der Begriff als Selbstbezeichnung zum Einsatz, um Identitäten und Orientierungen jenseits von Kategorien wie „Mann“ und „Frau“ oder „heterosexuell“ und „homosexuell“ einen Namen zu geben. Manchmal wird der Begriff auch verwendet, um eine Haltung auszudrücken, die Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität in Frage stellt.
Queer ist also ein sehr inklusiver, offener Sammelbegriff, der vielen Menschen Identifikation bietet und den man inzwischen auch gerne für Bewegungen, Dinge und Events nutzt, die im Zusammenhang mit der LGBTQ+ Community stehen.
Die Geschichte des Wörtchens „queer“
Das Wort queer ist abgeleitet von dem deutschen Wort „quer“ („schräg, schief“), welches sich wiederum von dem lateinischen Verb „torquere“ (drehen, verdrehen) ableitet. Dieses stand im englischen Slang als Synonym für „seltsam“, „eigenartig“ oder „sonderbar“. Das Wort wurde lange als abwertender Begriff für Personen der LGBTQ+ Community benutzt, insbesondere für Homosexuelle. Im Zuge der Aids-Bewegung um 1990 wurde der Begriff durch die queere Community zurückgefordert, neu besetzt und gilt heute als positiver Begriff.
2005 definierte die Philosophin Gudrun Perko den Ausdruck „queer als eine politische und gesellschaftliche Bewegung „im Sinne eines offenen Projekts, das die angeblich natürliche Ordnung der Dinge in Frage stellt“. Diese geht über den Bereich der Sexualität hinaus und eröffnet auch Debatten in der Kultur, Politik, Gesellschaft und der Menschenrechte. Queer ist damit von einer Sexualität zu einer politischen und persönlichen Identität geworden.
Nicht alle mögen den Begriff…
Doch gerade weil „queer“ in einem politischen Zusammenhang „reclaimed“, also zurückgefordert wurde, distanzieren sich einige lieber von diesem Begriff. Auf der anderen Seite wird das Wort auch heute noch teilweise als Schimpfwort benutzt.
Einige Mitglieder der LGBTQ+ Community kritisieren zudem, dass der Begriff zu inklusiv ist und sie sich in ihrer eigenen geschlechtlichen Identität und/oder sexueller Orientierung nicht mehr gesehen fühlen. Stattdessen bevorzugen sie konkrete Bezeichnungen wie schwul, lesbisch, bi oder trans, welche ihre persönliche Anliegen und Probleme besser widerspiegeln, die ansonsten durch die Vielseitigkeit der Community übersehen werden könnten.
Wer ist Queer?
Queer steht wie bereits erwähnt für eine große Gruppe Menschen, die sehr unterschiedliche Geschlechter, Sexualitäten und Identitäten haben können. Viele Begriffe, die Menschen der LGBTQ+ Community gewählt haben, haben eine enge Definition: Hetero-, Homo- und Bisexualität sind sehr stark auf ein binäres Geschlechtersystem aus Mann und Frau ausgelegt und lassen daher wenig Spielraum für alles, was es außerhalb binärer Vorstellungen liegt. Queer hingegen öffnet den Raum für eine persönliche Definition im Sinne der Bewegung.
Unter dem Begriff queer finden sich sowohl Menschen, die sich zu jedem Geschlecht hingezogen fühlen. Das schließt alle Sexualitäten, als auch Menschen, die sich mit keinem festen oder einem flexiblen Geschlecht/ Gender identifizieren ein. Und auch solche, die sich nur in wenigen Fällen außerhalb ihrer Präferenzen zu Menschen hingezogen fühlen. Man kann sich auch als Queer bezeichnen um seine Solidarität mit dieser Community auszudrücken.
Definition nach Gudrun Perko
Folgt man der Definition von Perko, steht queer als Oberbegriff, der sich abhängig vom eigenem Selbstverständnis auf Unterschiedliches beziehen kann. Im Hinblick auf geschlechtliche Identität könnte das sein: Cisgender, genderqueer, nichtbinär/enby, binäre und nicht-binäre transgender oder intergeschlechtliche Personen. Im Hinblick auf sexuelle Identität: Schwule, Lesben, Bisexuelle, Pansexuelle, Asexuelle, Homo- oder Heteroflexible oder auch: BDSM-Anhänger:innen!
Perko erweitert dieses Feld in ihren „Queer-Theorien“ von 2005 noch um eine politisch-strategische Variante, in die radikal offene Menschen in den Begriff inkludiert werden. Darunter fallen Schwule, Lesben, Bisexuelle, Intersexuelle, Asexuelle, Transgender ebenso wie Cross-Identitäten, Nicht-Identitäten, Trans-Identitäten. Allerdings auch Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion, Hautfarbe sowie Cyborgs, Drags, Cross Dresser und weitere sind in ihrer Definition inkludiert.
Im Zentrum der plural-queeren Variante steht das Bemühen um die „möglichste Vielfalt menschlicher Seins- und Daseinsformen in ihrer Unabgeschlossenheit“. Grundsätzlich umfasst der Begriff alles außerhalb der heteronormativen Vorstellung von Sexualität und der binären Geschlechterdefinitionen von männlich und weiblich.
Nach Perko handelt es sich um einen offen gefassten Begriff, welcher vielfältige Identifikationsmöglichkeiten bietet. Verbindend wirkt dabei die Vorstellung, dass die gesellschaftlich vorherrschende Heteronormativität hinterfragt und aufgelöst wird. Es soll Menschen ermöglicht werden, ihr Leben mit vielfältigen Formen von sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten frei von Normen zu leben.
Queere Geschichte und Politik
Die Bezeichnung queer wurde weltweit, spezifisch aber in den USA als Schimpfwort für Homosexuelle und nicht binäre Menschen benutzt. Die Bedeutung wurde in etwa mit „gefälscht, sonderbar, eigenartig, fragwürdig, suspekt, verrückt“ gleichgesetzt.
Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre verwendeten Menschen innerhalb der LGBTQ+-Szene den Begriff mehr und mehr für sich, sodass es ihnen gelang das Wort mit einer neuen, positiven Bedeutung zu besetzen. Seit dem wird das Wort für die Szene und die politische Bewegung innerhalb der LGBTQ+ Community benutzt.
In den USA hat sich die Bezeichnung queer maßgeblich im politischen Aktivismus und auch Gesellschaftstheorien durchgesetzt. So ist der Begriff inzwischen prägend in den Theorien des Poststrukturalismus, der Sozialhistorie, Diskursanalyse und des Postmodernismus wiederzufinden. Außerdem gibt es mittlerweile eigene Wissenschaftsgebiete, die auf der queeren Bewegung basieren wie etwa Queer Theory, Queer Politics und Queer Studies.
Was hat „queer“ mit BDSM zu tun?
„Queer“ sollte also dazu dienen, von der heteronormativen Norm abweichende Lebensweisen sichtbar zu machen, die Heteronormativität, die zweigeschlechtliche Binarität sowie die schwul-lesbischen Identitätsmuster (Lesbian and Gay Identity) kritisieren. Denn auch hier wird trotz abweichender Sexualität oft nur von zwei Gendern gesprochen, während queer alle Gender einschließt. Hierbei ist zu beachten, dass der wesentliche Unterschied zwischen Gender und Queer darin besteht, dass Queer über die Gender Identität hinaus geht und somit die menschliche Vielgeschlechtigkeit anerkennt.
Queer ist inzwischen also ein politischer Begriff, da er für soziale, geschichtliche und gesellschaftliche Hintergründe steht. Damit ist er ein Aspekt der Diversitätspolitik und hat denselben Inklusionsstandard wie die Integration von POC und Menschen mit Behinderung. Ordnet man sich dem Begriff zu, dann gibt man damit zu einem gewissen Grad die Zugehörigkeit zu einer Bewegung mit gesellschaftlichen und politischen Gesinnungen an.
Sexpositiv, BDSM und Queer gehen in vielerlei Hinsicht Hand in Hand, beide bezeichnen eine sexuelle Identität die losgelöst von Geschlechtern, Ausrichtungen und physischen Präferenzen steht. Sie alle stehen vor eine integrative Community außerhalb des Binären und heteronormativen Vorstellungen. Diese beinhalten zwar sexuelle Präferenzen, gehen aber über diese Hinaus und sind gleichermaßen auch Einstellung, Gesinnung und Community.
Da sich in der BDSM-Szene viele Menschen bewegen, die an einem Punkt in ihrem Leben ihre geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung hinterfragen und neu definieren wollten, hat das Wörtchen auch Einzug in die BDSM-Community gefunden. Dazu kommt eine gewisse Solidarisierung mit und Nähe zur LGBTQ+ Bewegung, da BDSM-Neigungen – ob heteronormativ oder nicht – als ähnlich sonderbar, fragwürdig, verrückt gelten und Anhänger:innen ähnliche Diskriminierungserfahrungen machen mussten oder fürchten. Viele Menschen schließen BDSMler:innen außerdem in die Definition von Queer ein, da ihre sexuelle Identität anders ist.