Zum Weltfrauentag stellen sich in dieser Reihe die Mitglieder des Deviance-Teams vor und erzählen, was sie antreibt Diesmal: Initiatorin und Gründerin Marina, wie aus Spaß ernst wurde und warum sie sich lange nicht getraut hat, ihr Herzensprojekt anzugreifen.


„Wenn ich mal nicht mehr mit Food arbeite, bau‘ ich ein Tinder für BDSM!“ Das sagte ich im Sommer 2018 aus Spaß auf einem BDSM-Treffen in München. Acht Monate hat es gedauert, bis aus dieser spontanen Äußerung der Anfang von Deviance wurde. Zurückgehalten hat mich in erster Linie ganz klar das Thema. Aber auch die Angst, als Frau in diesem Bereich nicht ernst genommen zu werden. Warum, möchte ich euch in diesem Text erzählen.

Die Idee ließ mich zwar nicht los, in jeder freien Minute dachte ich – oft unbewusst – auf dem Thema herum, entwickelte im Kopf ein Konzept. Und dennoch schob ich sie immer wieder beiseite. Wenn ich mit Freund:innen sprach, hieß es immer: „Mach! Das Thema ist doch voll in! Kennst du Lea-Sophie Cramer von Amorelie?“ Wenn ich mit Leuten aus der BDSM-Szene sprach, hieß es eher: „Pff, das haben schon viele versucht, lass es lieber.“ Oft hieß es aber auch: „Jaaa bitte! Wie kann ich dir helfen?“

Tiefschwarz. Nicht rosa.

Klar gibt es diese Stargründerinnen aus der Start-Up-Welt wie Lea-Sophie Cramer, die als mutig gefeiert werden, weil sie als Frauen Erotik-Businesses aufgezogen haben. Und ja, ich bin ihr und vielen weiteren Gründerinnen sehr dankbar, dass sie in den letzten Jahren den Boden für weitere Projekte bereitet haben, die sich sexueller oder tabuisierter Themen annehmen. Femtasy, Beducated, TheFemaleCompany um nur einige zu nennen.

Trotzdem kann und konnte ich die Vergleiche schon bald nicht mehr hören. Ich wollte und will nicht auf diesen Zug aufspringen. Ja, es geht bei BDSM um Empowerment und Selbstbestimmung. Aber, Leute, es geht eben auch um gefährliche Praktiken, Schmerzen, Demütigung. Um Dinge, die als Gewalt angesehen werden. Es geht darum, dass Menschen für gestört oder krank gehalten werden, wenn sie Dinge mögen, die über Szenarien aus Fifty Shades of Grey hinausgehen oder wenn sie sich gerne Windeln anziehen. Es geht um Vorstellungen und Konzepte von Sexualität und Beziehungen, die die Mehrheit der Gesellschaft nicht mit ihren eigenen vereinbaren kann. Und damit ist das alles sehr weit weg von der rosa Welt der Amorelies und Femtasys.

Dass diese Konzepte von der Mehrheit der Gesellschaft abgelehnt werden, liegt natürlich an der oberflächlichen Betrachtung, den mit Klischees beladenen Kenntnissen der verschiedenen Spielarten. Aber das ist ein anderes Thema. Ebenso andere von Frauen gegründete Projekte wie Lustery und Ohlala, die sich ebenfalls auf höheren Leveln von Stigmatisierung bewegen.

Das kalte Wasser der Exposition

Mich in dieses Feld zu begeben und mich selbst damit möglicherweise ins gesellschaftliche Aus zu schießen, war dementsprechend keine leichte Entscheidung. Wie oben beschrieben, hat es trotz Zuspruch von außen acht Monate für diese Entscheidung gebraucht.

Denn neben diesen Bedenken stand noch die Angst davor im Raum, was passiert, wenn ich mich als Frau zu dem Thema bekenne.

Besonders Frauen im BDSM werden viele schlimme Dinge unterstellt: Wenn sie dominant sind, dann weil sie eigentlich Männer hassen. Wenn sie sich gerne unterwerfen, schlagen, erniedrigen lassen, dann liegt das an einem geringen Selbstwertgefühl, so genannten „Daddy Issues“ oder sie wollen irgendeine Art Trauma verarbeiten. Und Freiwild, weil sie achso-versaut und tabulos sind, sind sie unabhängig von der Spielweise dann ja sowieso. Und da reden wir bisher nur von heterosexuellen cis Frauen.

Für mich war daher klar, dass ich anonym bleiben möchte. Doch schon bald kamen Zweifel auf: Wie kann ich Menschen mit einer Plattform ermutigen, zu sich zu stehen, wenn ich es selbst nicht tue? Wie sollen Menschen unseren Aufklärungs- und Entstigmatisierungsauftrag glaubhaft finden, wenn selbst die beiden Gründer:innen sich verstecken? Gerade Frauen fehlt es schließlich an sexpositiven Vorbildern.

Mehr als man denkt

BDSM ist und war schon immer Teil unserer Gesellschaft. Während die Datenlage zur Verbreitung und Neigung von BDSM und Fetischen ziemlich dünn und aufgrund interpretierbarer Fragestellungen recht unzuverlässig ist, so blieb eine Zahl über die Jahrzehnte konstant: Fünf Prozent bekennen sich zu BDSM als Lifestyle. Das ist gar nicht so wenig.

Es wird angenommen, dass ein Mensch im Durchschnitt etwa 150 Kontakte hat, mit denen er oder sie regelmäßig sozial interagiert. Das heißt, jede:r von uns kennt mindestens sieben Personen, die hinter verschlossenen Türen ganz schön viel Schweinkram machen.

Da sind die Experimentierfreudigen, die sich mal Klapse auf den Po geben, die sich die Shades-of-Grey-Beginners-Box bestellt haben oder strenge-Lehrerin-mit-Rohrstock spielen noch gar nicht dabei. Dabei sind auch nicht diejenigen, die heimlich auf Pornoseiten Pissing, Pegging und Bondage eingeben. Und erst recht sind nicht diejenigen dabei, in deren Köpfen immer wieder BDSM-Fantasien aufblitzen, die sie aber schnell beiseite schieben, weil sie sie aufgrund ihrer Glaubenssätze selbst für „krank“ zu halten.

Schluss mit der Einsamkeit

Denn so viel Spaß uns das Ganze macht, so einsam ist unsere Spezies leider auch. Im Gegensatz zu anderen Lebensstilen, die vor ein paar Jahren noch als abstoßend galten, mittlerweile aber immer mehr akzeptiert werden, sind unsere Neigungen noch immer ein gesellschaftliches Tabu.

Wir wissen nicht, wer die 20. Person in unserem Bekanntenkreis ist, da nicht über diese Art von Vorlieben gesprochen wird. Wir wissen nicht, wie wir unsere Fantasien einordnen können, da uns niemand sagt, dass es okay ist, diese zu haben.

Wir leben uns erst aus, wenn wir Ablehnung zu 100 Prozent ausschließen können. Das ist nicht nur mühsam, wir verpassen damit auch ziemlich viele Chancen, ohne es zu wissen.

Das wollen wir ändern. Wir wollen, dass diese ganzen Menschen, die sich unwissentlich voreinander verstecken, zueinander finden. Wir wollen uns für Aufklärung und sichere Auslebung einsetzen. Denn wenn über BDSM nicht gesprochen wird, wird vieles falsch gemacht. Trotzdem wird es gemacht. Wir wollen auch, dass die Gesellschaft von der BDSM-Community lernt, die in vielen Dingen – man denke nur an Kommunikation und Consent – weit voraus ist. Und wenn ich mich dadurch tatsächlich ins gesellschaftliche Aus schieße und als Frau aufgrund meines Outings diskriminiert werde, dann zeigt das nur noch einmal mehr, wie wichtig und dringend diese Arbeit ist.

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