Jede:r von uns war schon einmal in einer Beziehung, in der wir nicht gut behandelt wurden. Egal ob es nur Kleinigkeiten waren oder das Verhältnis sogar toxisch. Dieses Verhalten kann sowohl in einer Liebesbeziehung, Freundschaft oder einer anderen Art von Sozialbeziehung wie etwa mit Kollegen oder Vorgesetzten vorkommen.
Zwar gibt es einige Verhaltensweisen und Merkmale, Red Flags genannt, die besonders in der Kennenlernphase gefährliche Personen entlarven können, doch es gibt auch Menschen, die sich erst später als ungesund, rücksichtslos oder manipulativ entpuppen. So genanntes narzisstisches Verhalten ist dabei besonders gefährlich, denn Menschen mit diesen Zügen sind in der Kennenlernphase schwer zu identifizieren, da sie äußerst charmant und zuvorkommend sein können.
Dieser Artikel richtet sich vornehmlich an Subs und soll euch die Möglichkeit geben, eure aktuelle Beziehung zu reflektieren oder das ganze vielleicht an jemanden zu schicken, der in so einer Beziehung stecken könnte.
Keine Seltenheit
Narzisst:innen oder so genannte Dummdoms sowie manipulative Menschen gibt es überall. Die BDSM-Szene ist da keine Ausnahme. Oft ist sogar das Gegenteil der Fall, da man sich hier verletzlicher, ehrlicher und bedingungsloser gibt, als im gewöhnlichen Dating-Leben. Man gerät schneller an jemanden der oder die manipuliert, verunsichert und einschränkt, als man denkt.
Aber wie erkennt man den Unterschied zwischen einem oder einer strikten Dom und missbräuchlichem Verhalten? Hier sind zehn Fragen, mit denen ihr selber prüfen könnt, ob eure Beziehung Anzeichen von narzisstischem oder missbräuchlichem Verhalten zeigt.
1. Hast du Angst vor deinem oder deiner Dom?
Nicht vor den Konsequenzen oder der Strafe, sondern vor der Person. Ein enges Gefühl in der Brust, das sich automatisch einstellt? Angst vor dem Ausgang eines Abends, kalte Hände beim Gedanken an die Begegnung? Oder gar Panik vor Treffen? Dies sind alles Warnzeichen, die man ernst nehmen sollte. Nervosität oder ein wenig kribbelige Angst sind oft normal, wenn man mit jemanden eine engere emotionale Bindung hat oder eine Strafe im Raum steht. Dieses Gefühl sollte aber definitiv nicht immer präsent sein.
2. Droht Dom damit dich zu verlassen oder dich durch Entzug zu bestrafen, wenn du nicht gehorchst?
Wenig ist so grausam wie der Entzug eines lieben Menschen. Manchmal kann eine Pause etwas Gutes für eine Beziehung sein und sich gegenseitig Platz zu lassen ist sehr wichtig. Die Konsequenz des Verlassen-werdens jedoch ist eine höchst manipulative, weil sie dich zur Handlung zwingt, wenn du nicht die „Schuld“ am Ende tragen willst. Auch der Entzug von gemeinsamer Zeit, Kontakt oder Gesprächen lassen einen verunsichert, verwirrt, ohne Kontrolle und alleine zurück.
3. Droht Dom dir Gewalt an, wenn du dich nicht unterwirfst?
Konsequenzen, Bestrafung, Regeln sind alles keine Fremdwörter im BDSM. Dazu gehören auch durchaus Handlungen, die in anderen Kreisen als Gewalt gelten. Dennoch besteht ein massiver Unterschied zu deinen persönlichen Grenzen, die ohne Wenn und Aber zu akzeptieren sind.
Hierbei ist nicht die Rede von dem Gestänker einer Brat, die eine Konsequenz einfordert und mit einem frechen „Sorg doch dafür“ eine Strafe provoziert. Herausforderung und Ankratzen, sind durchaus eine gängige Umgangsweise zwischen Tamer und Power-Bottom. Willkürliche, unabgesprochene, non-consensual Gewalt ist jedoch ein anderes Level.
Mit Gewalt ist hier das „Brechen“, das Überwerfen von Vereinbarungen, das rücksichtslose Nehmen gemeint. Allein deren Androhung hinterlässt kein freudiges Kribbeln, ja nicht einmal ein schlechtes Gewissen oder leichten Ärger, sondern Angst. Drohungen auszusprechen, ist ein klares Zeichen dafür, dass jemand zu Gewalt tendiert. De facto sind Drohungen bereits Gewalt. Und jemand, der oder die diese Grenze überschritten hat, ist auch bereit Täter zu werden.
4. Versucht Dom dich zu bestechen, etwas zu tun?
Egal ob es teure Geschenke, besondere Ausflüge oder andere Zugeständnisse sind: Bestechungen sind mehr als Klamotten, tolles Essen oder hübsches Spielzeug. Natürlich können kleine Motivationen eine gute Anregung sein, um sich etwas zu pushen oder eine Belohnung für eine Anstrengung zu bieten. Aber das Versprechen von materiellen Dingen für das Überschreiten eurer Grenzen ist ein manipulatives und gefährliches Verhalten.
5. Redet dir Dom ein schlechtes Gewissen oder Selbstzweifel ein, wenn du etwas nicht schaffst oder machen möchtest?
BDSM kann uns das Gefühl geben, unbesiegbar zu sein und sexuelle Anziehungskraft ist ein einzigartiges Ambrosia für unsere Selbstwahrnehmung. Gerade deswegen können einige Egos in der Szene so aufgeblasen sein, da sie diese intensiven und öffnenden Erfahrungen erlebt haben. Sie haben das Gefühl päpstlich diese Erfahrungen zu schenken, führen intensive Sessions und Gefälle. Einige jedoch können dabei den Bodenkontakt zu Konsequenz, Status und dem Wohlergehen der submissiven Person verlieren.
Denn eine Session kann auch zerstörerisch wirken. Sie kann dich an die Grenzen deiner körperlichen, geistigen und emotionalen Fähigkeiten oder Kapazitäten führen. Vergleicht dich jemand in einem solch verletzlichen Moment mit einer anderen Person, setzt dich herab, oder greift diese Verletzlichkeit sogar an, kann das schlimme Folgen für deine Selbstwahrnehmung haben.
Auch kritisches Hinterfragen von Befehlen zu bemängeln und sich darüber abfällig zu äußern ist ein absolutes No-Go. Ganz im Gegenteil zeugt es eher von fehlendem Respekt, wenn an den von dir kommunizierten Grenzen immer wieder herumgemäkelt wird oder diese ins Lächerliche gezogen werden.
6. Sorgt die Person dafür, dass du dich ungewollt und schlecht mit dir selbst fühlst?
Strategisches emotionales Ausnutzen ist einerseits bewusste Manipulation, andererseits führt es auf geradem Wege in eine Abhängigkeit. Ein Beispiel hierfür sind ständige Kritik an Aussehen, Leistung oder auch deinem Charakter, denn sie führt dazu, dass du dich selbst und deine Entscheidungen immer mehr in Frage stellst und Zweifel an deinem Urteilsvermögen, deinen Ansichten, Fähigkeiten und deinem Aussehen entwickelst. Reflektiere aufmerksam, ob du diese in Ansätzen oder im Ausdruck von deinem Dom oder deiner Domme gehört hast.
7. Hast du dich je missbraucht oder schlecht nach sexuellen Handlungen gefühlt?
Manchmal braucht es einen Moment bis wir eine Session oder auch Sex verarbeitet haben. In einer Situation, in der man direkt mit der Partnerperson konfrontiert ist, können bestimmte Handlungen, Gesten oder Gefühle sich ins Positive verzerrt anfühlen. Das wird noch verstärkt, wenn du noch im High einer Session bist, die Endorphine durch den Körper fließen, das Dopamin in deinem Gehirn noch feuert.
Aber sobald dich danach das Gefühl überkommt, verletzt oder zu etwas gedrängt worden zu sein, oder du dich einfach schlecht fühlst, ist wahrscheinlich etwas schief gelaufen. Du hast am nächsten Tag Spuren, die nicht besprochen waren und die du jetzt nicht anschauen kannst? Du hast ein Phantomgefühl der Berührungen, die dich erschaudern lassen? Das alles sind Anzeichen für sexuelle oder körperliche Übergriffigkeiten. Das Wort „Missbrauch“ klingt drastisch, ist aber wahrscheinlich angemessen.
8. Wurden deine persönlichen Bedürfnisse, zum Beispiel nach Kontakt, Essen, Ruhe, Kleidung oder medizinischer Versorgung ignoriert?
„Dom gets served first“ gehört zu den Sätzen, die man heutzutage aus der BDSM-Welt verbannen kann. Während viele submissive Menschen den Service-Aspekt ihrem oder ihrer Dom gegenüber wertschätzen, so gibt es zwei Sachen, die über allem Spiel, Gefälle und Mindset stehen: deine Sicherheit und dein Wohlergehen.
Ja, manchmal ist eine Session unbequem und das kann fantastisch sein. Aber zwischen unbequem und für dich gefährlich gibt es einen Unterschied. Du musst auf die Toilette, brauchst etwas zu Essen, um dich zu stabilisieren, möchtest eine Jacke, weil dir kalt ist oder hast das Gefühl aus dem Raum zu müssen? Das sind Fälle, in denen eine Session ab- oder unterbrochen werden sollte. Werden oder wurden deine Forderungen ignoriert, so respektiert dein:e Top deine Bedürfnisse nicht. Diese sind aber für dein Wohlergehen unabdingbar.
Du legst die Grenzen deiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit fest und an diese hat sich die dominante Person zu halten. Sollte dies nicht der Fall sein, fordere sie ein, brich im Zweifel die Session ab und stell sicher, dass es dir gut geht.
9. Hat dein:e Dom deine Loyalität und Treue infrage gestellt?
Sobald jemand einen Satz mit „Wenn du mich wirklich…“ anfängt und unironisch fortsetzt, sollten alle Alarmglocken läuten. Wenn ihr in einer ehrlichen und gesunden Beziehung seid, dann solltet ihr über alles reden können. Konflikte sind dabei nie ausgeschlossen, doch deine Ehrlichkeit sollte nie angezweifelt werden.
Denn da gerade in einem D/s-Gefälle Loyalität einen unglaublichen Stellenwert hat, tun diese Zweifel besonders weh. Treue ist in jeder Beziehung, egal ob offen, geschlossen oder poly, ein empfindliches Thema. Diese grundlos infrage zu stellen, um zu verunsichern und den eigenen Willen durchzusetzen, ist ein bewusstes Arbeiten gegen die Basis eurer Beziehung.
10. Ignoriert dein:e Dom deine gesetzten Grenzen und dein Safeword?
Dein Safeword ist dein Notfallschirm, dein Sicherheitsanker und ein klares Zeichen für „Stopp, nicht weiter“. Ähnlich verhält es sich mit gesetzten und vereinbarten Limits, welche ohne Wenn und Aber zu akzeptieren sind. Eine Person, welche diese nicht anerkennt und kein Safeword akzeptiert, ist nur auf die eigenen Bedürfnisse fokussiert.
Natürlich sind Grenzerfahrungen reizvoll und intensiv und oft sind es sogar genau die Erfahrungen, die wir anstreben und erleben wollen. Doch es ist wichtig und erfordert Vertrauen in den Partner, diese Schritte hin zu Grenzerfahrungen sorgfältig zu gehen. Eine Person, die deine Limits nachlässig oder unachtsam betrachtet und sie einfach überschreitet, respektiert deine Selbsteinschätzung nicht. Wenn du vorher deutlich kommuniziert hast „das ist meine Grenze“, ist alles darüber hinaus eine Invasion deiner Komfortzone.
Fazit ziehen
Falls du mehrere oder sogar alle Fragen mit „Ja“ beantwortet hast, dann bist du in einer Beziehung, die dir nicht gut tut. Dabei muss es sich nicht unbedingt um eine:n Narzisst:in handeln oder jemanden, der oder die absichtlich böse ist. Die Definition ist am Ende auch egal. Wichtig ist nur, wie du mit diesen Punkten und Antworten umgehst und welche Entscheidungen du triffst. Weitere Informationen über gefährliche Verhaltensweisen, besonders solche in der Kennenlernphase, findest du hier.
Hilfe suchen und finden
Wenn du Hilfe brauchst, ist es immer noch am besten, mit Freunden und der Familie zu sprechen. Falls es dir unangenehm oder zu peinlich ist, diesen Weg zu gehen, findest du bei SM-spezifischen Anlaufstellen im Internet Hilfe.