Juni: Pride, Regenbogen, Glitter, Leder und BDSM!
Es ist Juni, weltweit wird der Pride Month zelebriert! Es ist Zeit für CSDs, Demonstrationen und Paraden. Jedes Jahr sammeln sich in allen möglichen Ländern und Städten Menschen der LGBTQ+-Community, sogenannte „Allies“ (Allierte) und auch kinky Menschen, um dabei mit zu laufen. Jedes Jahr beginnt dann die Diskussion: Gehört BDSM auf die Pride?
Gerade in diesem Jahr gibt es aus den USA viele Stimmen, die sich für und gegen BDSM und Kinkster auf der Pride aussprechen. Zwar gibt es auch die Diskussion, ob Polizisten auf der Pride zugegen sein sollten, doch das Thema BDSM und Kink auf den öffentlichen Veranstaltungen der Pride sind ein besonders aufgeladenes Thema in der Community.
Die Geschichte der Pride
Die Hintergrundgeschichte der Pride und des Christopher-Street-Days haben wir euch hier ausführlich zur Verfügung gestellt, daher an dieser Stelle nur eine verkürzte Zusammenfassung. Pride begann nicht als lustige hübsche Parade, an deren Rande Menschen den Teilnehmer:innen zujubelten. Pride begann als Demonstration, als Aufstand gegen Diskriminierung und Gewalt, welcher queere Menschen in den 1960er Jahren ausgesetzt waren. Beim Stonewall-Aufstand am 28. Juni 1969 waren es Dragqueens, Schwarze trans Personen sowie Latinxs, die an der Front gegen die New Yorker Polizei standen und ihr Leben verteidigten.
Bereits zu diesem Zeitpunkt waren Kinkster an der Seite von Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera, zwei der bekanntesten trans* Dragqueens, die an dem Aufstand beteiligt waren. Drag wurde zu dieser Zeit auf dieselbe Stufe gestellt wie BDSM, rein juristisch betrachtet galten auch Dragqueens oder Cross Dresser als „sexual deviant“, also sexuell abweichend und damit als krank. Die berühmte Bar Stonewall Inn war zu dieser Zeit nicht nur ein Platz für Homosexuelle, Dragqueens, trans und inter Personen sowie queere Teenager, sondern auch für Lesben (Dykes on Bikes) und Leather Daddies.
Ein weiteres Beispiel ist Brenda Howard, die auch als „Mother of Pride“ bezeichnet wird. Sie war eine der Mitorganisator:innen der ersten Christopher Street Liberation Day Parade, Vorsitzende des Komitees für eben jene, Gründerin des New York Area Bisexual Network (NYABN), aktives Mitglied von ACT UP und diversen anderen LGBTQ+-Gruppen und Bewegungen. Sie gilt als Frontfigur der damaligen sexuellen Befreiung. Zusätzlich war sie offen kinky, polyamor und Teil der lesbischen Lederbewegung. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren, spielte sie eine maßgebliche und wichtige Rolle in der Bewegung.
„Bi, Poly, Switch — I know what I want.“
Button von Brenda Howard
Welche Rolle spielt Kink in dieser Geschichte?
Viele der Schwulenbars damals hatten BDSM-Charakter, da die Lederszene und Fetische in der Gay-Kultur oft Hand-in-Hand gingen. Es handelt sich dabei also keineswegs um neumodische Erscheinungen. In vielerlei Hinsicht haben sich die Dinge sogar separat voneinander entwickelt. Blickt man zur selben Zeit nach San Francisco, so entstand in „South of Market„, einem bei queeren Menschen beliebten Viertel, gleichzeitig die Folsom Kultur.
Als in den 1980er Jahren die Aids-Pandemie in den USA grassiert und sich durch die queere Community frisst, organisiert ACT UP Aufstände und Flash Mobs, um auf sich und die Probleme aufmerksam zu machen. Auch hier sind Dragqueens, Sexworker:innen und Kinkster gemeinsam an vorderster Front der Sexual-Liberation-Bewegung dabei. Auch die so genannten Leder-Lesben und Biker Clubs führten die Bewegungen mit an.
Gleichzeitig kümmerte man sich umeinander. Wenn jemand an Aids im Sterben lag, stellte die BDSM-Community sicher, dass Kleidung, wie etwa eine Lederkluft, aufbewahrt und nicht entsorgt wurde. Sie besuchten sterbende Menschen in Krankenhäusern und leisteten Beistand. Eine eingeschworene Gruppe, die zusammenhält und durch den Status als Verstoßene und Unerwünschte miteinander verbunden ist. Gerade daraus entstand ein Bündnis aus Schutz und Sicherheit.
Der Konflikt – Kein BDSM und Pride
Die BDSM-Community spielte also eine wichtige Rolle in der Entstehung der Pride-Bewegung. Wie genau sieht dann der Konflikt innerhalb der Community aus? Hier einige der Gegen-Argumente:
Einige Menschen empfinden das Stigma, dem BDSM unterliegt, sowie die in der Szene verbreitete Kleidung als belastend für Pride. Beides sei nicht repräsentativ für die LGBTQ+-Community, die heute in der westlichen Welt eben nicht mehr nur für ihre gesellschaftliche Anerkennung kämpft, sondern auch für Veränderung von Grundrechten, Gesetzeslagen und offizielle Anerkennung.
Ein weiteres Argument lautet, dass BDSM zur Sexualisierung und Fetischisierung von Menschen aus der LGBTQ+-Community beitrage. Denn Fetische werden nun einmal fest mit BDSM assoziiert. Das stellt für manche insofern ein Problem dar, als dass jede Gruppe der LGBTQ+-Community von bestimmten Teilen der Gesellschaft als hypersexuelles Objekt gesehen oder sogar fetischisiert wird.
Darüberhinaus wird argumentiert, dass BDSM-Sexualität Kinder und junge Teilnehmer der Pride verstöre, wenn Kinkster vor Ort ihre Sexualität offen zeigen. Hier geht es weniger um sexuelle Handlungen als einfach um das Darstellen von Machtgefällen, Fetischen oder das Andeuten von Handlungen, etwa aus dem Bondage-Bereich.
Gerade letzteres ist ein wichtiger Teil des letzten Arguments, nämlich dem Ausbleiben von Consent. Es wird angeführt, dass die Teilnehmer:innen der Events nicht zustimmen, sexualisierte Handlungen zwischen Menschen zu sehen und zu erleben. Wenn kinky Handlungen auf der Pride zur Schau gestellt werden, sei das per Definition sogar gegen die eigenen Spielregeln des BDSM.
Also warum gehört BDSM doch auf die Pride?
Pride ist eine Demonstration, kein Familienfest
Die Veranstaltungen im Rahmen der Pride sind nicht als familienfreundliche Straßenfeste gedacht, sondern bis heute politische und gesellschaftskritische Demonstrationen. Dass der Christopher-Street-Day beispielsweise in vielen Städten überhaupt einen festlichen Charakter hat, liegt an den jahrelangen brutalen Kämpfen, die in diesem Namen ausgetragen wurden und werden. Blickt man in nicht-westliche Länder oder auch nur Nachbarländern wie Polen, wird klar: Solche Veranstaltungen sind wichtig, um für queere Rechte zu kämpfen. Pride ist eine Veranstaltung bei der es mit Ankündigung um Sexualität und sexuelle Identität geht. Dazu gehören eben auch jene aus dem BDSM-Bereich.
Während LGBTQ+-Eltern, Familien und Kinder natürlich einen Platz auf der Pride haben, so sind sie in vielerlei Hinsicht nicht das Publikum das angesprochen wird. Gleichzeitig ist eine universelle Aufklärung wichtig. Kinder werden oft früh mit hypersexualisierten Dingen konfrontiert und wenn diese neugierig sind, dann lernen sie diese auch ganz ohne einen großen bunten Auflauf kennen. Gerade in der BDSM-Community hört man von ebenjenen frühen Bedürfnissen. Daher ist eine gewisse, achtsame und reflektierte Konfrontation wahrscheinlich sogar gut, um früh zu realisieren, dass solche Sexualitäten und Bedürfnisse normal und okay sind.
BDSM ist nicht immer nur Sex
Obwohl BDSM und Kink nicht immer sexuell sind, werden diese Themen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung meist mit sexuellen Handlungen verknüpft, weswegen ihre Sichtbarkeit auf Pride-Veranstaltungen ohne Darstellung sexueller Handlungen für viele schwer vorstellbar ist. Während es innerhalb der Szene selbstverständlich ist, dass BDSM nicht immer sexuell ist, denken Vanillas, wenn sie Menschen mit Masken, Halsbändern und Leinen sehen, direkt an etwas Sexuelles. Und genau deswegen gehört Kink auf die Pride: Um aufzuklären. Um zu zeigen, dass es sich nicht immer nur um Sex dreht, dass man als Mensch mit Halsband nicht seine Rechte abtritt und um zu zeigen, von welch tiefer Wertschätzung BDSM-Beziehungen geprägt sind.
Allerdings hat das nur Gewicht, wenn sich an dieses Verhalten auch gehalten wird, also BDSMler:innen nicht öffentlich spielen oder sich hypersexuell präsentieren. Wir müssen uns bewusst werden, was für Außenstehende bereits als sexuelle Szene gesehen werden kann: Stiefel lecken, Petplay oder Spanking sind für uns vielleicht nicht gleich sexuell, sind für andere wiederum schon sehr grenzwertig. Selbst wenn nichts passiert, interpretieren viele Menschen schon ein bestimmtes Aussehen oder Auftreten als sexuelles Verhalten. Doch um Kink und BDSM angemessen zu repräsentieren, darf sich niemand unwohl fühlen.
„Kinkster gehen nicht auf die Pride um Sex zu haben. Nur weil wir in Kleidung auftauchen, die der Parade angemessen ist (…). Also ich in meiner Lederkluft bin nicht gleich ich, der eine Session hat oder der versucht Sex zu haben. (…) Wenn du dir darüber Sorgen machst, etwas Sexuelles zu sehen, dann solltest du wahrscheinlich nicht auf den CSD, eine Veranstaltung bei der es um Sexual Liberation geht!“
Amp – Watts the safeword
BDSM ist nicht markenfreundlich
Gerade 2021 merkt man es noch deutlicher: Viele Marken und große Firmen bringen Pride-Kollektionen heraus. Dafür wird für einen Monat alles ein bisschen mit Regenbogen versehen. Allein das jedoch macht viele Firmen weder zu einer LGBTQ+-freundlichen Allianz, noch zu unterstützenswerten Institutionen. Denn das Profilbild auf Instagram für einen Monat bunt zu machen oder etwas LGBTQ+-Merchandise herauszubringen, nützt der Bewegung herzlich wenig. Erst recht, wenn Entscheidungen, Strategien und Kund:innen-Ansprache dieser Firmen die Community ansonsten außer Acht lassen oder sogar diskriminieren (siehe auch: Pinkwashing). Stattdessen werden die Wagen und Gruppen auf den Pride-Paraden meist von Alkoholmarken und kleineren Sexshops gesponsert, statt von Calvin Klein und Nivea.
Je konformer die Pride-Bewegung wird, umso mehr könnte sie zum Konsumgut und -grund werden und der politische Ursprung verblassen. Doch BDSM ist unbequem, gerade große Marken distanzieren sich eher. Indem die BDSM-Szene integriert wird, werden gerade große Marken eher auf Abstand gehalten.
Und was sagt die Community?
Ich habe auf Twitter und Instagram gefragt, was die Menschen für Meinungen zu diesem Thema haben. Wie zu erwarten, waren die Antworten sehr gemischt:
„Es geht einfach mit Stigmatisierung und Objektifizierung einher und sowas geht gar nicht. Auch sind Pride-Veranstaltungen etwas, das für Menschen da ist, die sich wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Genders immer wieder rechtfertigen und verstecken müssen, Gewalt und Mord ausgesetzt werden. Das ist eine andere Hausnummer als ein Fußfetisch oder BDSM-Liebhaber. Denn diese Menschen sind in Deutschland nicht per Gesetz diskriminiert und erfahren in der Regel nicht die Art Diskriminierung, die sich queere Menschen geben müssen für etwas, dass keine Präferenz ist, sondern etwas, das ihnen gegeben ist.“
Samara de Sade auf Instagram
„Ja. Die Kämpfe sind intersektional ähnliche. Historisch gehört es dazu. Wir sollten uns nicht spalten lassen und „respektabel“ nicht zum höchsten Wert erheben. Auch sexuelle Minderheiten, die Heteros enthalten, müssen willkommen sein.“
TheBratApfel auf Twitter
„This is a very bad form of whataboutism. There are people fighting for society to accept that they are normal, nothing special. Just people that love other people. And then people say „but we have to be proud of our kink“, so be proud of a special sexual practice. Total different category! The one thing is whom you love, the other thing is what you do in bedroom.“
Beyond Normality auf Instagram
„Bei Pride geht es darum, für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu demonstrieren. Darum auf Diskriminierung insbesondere im Kontext Sexualität/Geschlecht/Beziehung aufmerksam zu machen. Kink auszuschließen ist damit unvereinbar.“
EoRa auf Twitter
Pride und BDSM: Wie kann es also doch klappen?
Einrichtung von Family Friendly Zones
Natürlich sollten auch Minderjährige und Menschen mit Kindern auf die Pride können. Doch es darf nicht vergessen werden, dass diese Veranstaltungen nicht spezifisch für diese gemacht sind. Sie sollten teilnehmen können, aber nicht den Charakter eines ganzen Events bestimmen.
Man könnte also moderierte, familienfreundliche Areale einführen, die nicht von Teilnehmer:innen betreten werden dürfen, die für Kinder und andere Menschen anstößig sein könnten. Hier könnten dann auch dediziert andere Inhalte und Angebote stattfinden, die sich spezifisch an queere und LGBTQ+-Familien, Eltern, Kinder oder Menschen richten, welche nicht mit sexuell expliziten Darstellungen konfrontiert werden wollen. In einigen größeren Städten wie London wird dieses Konzept bereits angewendet.
Dresscode und Verhaltenskodex transparenter machen
Während es für die meisten Events, wie für alles, D-Normen gibt, so ist das Regelwerk der Pride-Veranstaltungen quasi nicht öffentlich einsehbar, somit schwer nachvollziehbar und die Durchsetzung nicht einheitlich. So wurden beim CSD im Ruhrgebiet 2018 einige Puppy Player aufgefordert, ihre Masken abzunehmen. Eine Entscheidung, die im Nachhinein als ungültig bewertet wurde.
Indem Regelwerk und Dresscode vorher, transparent und unmissverständlich kommuniziert werden, lassen sich gröbere Verstöße vermeiden. Ein gutes Vorbild sind beispielsweise Karnevalsveranstaltungen, die mit Schildern am Straßenrand die Teilnehmer:innen einerseits darauf hinweisen, was erlaubt ist, andererseits, was sie in diesem Areal zu erwarten haben. Steht auf einem Schild zum Beispiel: „Masken sind zum Ausdruck der individuellen Persönlichkeit erlaubt“, dann weiß man: Mit Masken, auch mit sexualisiertem Kontext, ist zu rechnen.
Aufklären statt abwerten
Grundsätzlich gilt auch bei der Pride der Grundgedanke der sexuellen Aufklärung. Das heißt: geht man zur Pride, sollte man bereit sein, offen zu reden, wenn man sich öffentlich als BDSMler:in präsentiert. Damit ist nicht gemeint, die privaten Vorlieben aufzuschlüsseln oder gar zur Schau zu stellen, sondern achtsam und reflektiert über BDSM zu kommunizieren. Nur so lässt sich nachhaltig und umfassend aufklären.