Was genau ist ein Outing?
Ein Outing bedeutet, etwas bekannt zu geben oder zu verkünden. Der Begriff begegnet uns oft im Zusammenhang mit LGBTQ+-Menschen, die sich als solche outen. Es geht also umgangssprachlich meist darum, anderen Menschen zu erklären, dass man von der Vorstellung der „Normalität“ abweicht. Zum Glück leben wir in einer Welt, in der die Normalität immer vielfältiger und bunter wird. Trotzdem sind die Hemmungen bei Themen wie BDSM, sexuellen Vorlieben oder Orientierungen oder auch Polyamorie immer noch hoch.
Ursprünglich wurde dieser Begriff durch erzwungene Coming-Outs geprägt, die viele Homosexuelle während der Aids-Pandemie erfahren haben. Zuerst wurden Schwule von Gegenbewegungen an ihrem Arbeitsplatz geoutet. Im Gegenzug begannen diese wiederum, Prominente öffentlich zu outen. Outing wurde nicht als Diffamierung verstanden, sondern als offensiver Befreiungsschlag der Gay Liberation Community, der besonders homosexuellen Jugendlichen helfen sollte, ihr Selbstbewusstsein zu entwickeln und prominente Identifikationsfiguren zu finden. Heute wird man in der Regel nicht mehr geoutet, sondern trifft diese Entscheidung selbst.
Outings können verschiedene Hintergründe haben. Meistens hängen sie mit der eigenen Sexualität zusammen, also wenn man von einer binären heterosexuellen Orientierung abweicht. Aber auch das Aufklären über Krankheiten oder romantische Vorlieben wird als Outing bezeichnet. Viele Dinge können ein Outing verdienen.
Abgrenzung Fremd- und Selbstouting
Über die eigenen Vorlieben, Lebenskonzepte oder ähnliches aufzuklären, ist keine leichte Entscheidung. Es gibt zahlreiche Konsequenzen, die mit dem Teilen der eigenen Sexualität verbunden sind. Diese einzuschätzen und abzuwägen, ist vorher fast unmöglich. Man muss es nicht tun, denn niemand ist dazu verpflichtet. Allerdings bringt es oft Erleichterung, es auszusprechen. Das erste Outing hat man vor sich selbst. Für das eigene seelische Wohl und auch das der Partner:innen ist es wichtig, mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen im Reinen zu sein. Daher gilt es, zuerst in sich zu gehen und diesen ersten Schritt mit sich selbst zu machen.
Wann genau ist ein BDSM-Outing sinnvoll?
Im Deutschen gibt es das Wort „Leidensdruck“. Es beschreibt eine starke seelische Belastung und bezieht sich meist auf Erkrankungen von Leib und Seele, ist aber auch auf ein BDSM-Outing anwendbar. Wenn man merkt, dass es einen belastet, den Freunden, der Partner:in oder der Familie nicht sagen zu können, welche Bedürfnisse man hat, was man am Wochenende gemacht hat oder welches tolle Erlebnis man hatte, dann entsteht ein Leidensdruck. Oft fühlt es sich an, als wolle man einfach herausplatzen oder man hat in Gesprächen den Gedanken: „Ich würde mich gerne mitteilen“. Vielleicht fühlt man sich sogar schuldig, wenn man Erlebnisse abtut, verschweigt oder immer wieder auf Ausreden zurückgreifen muss. Ein Stück weit versteckt man einfach einen Teil seiner selbst, und das kann auf Dauer belastend sein.
Ein weiterer Punkt ist, dass BDSM oft mit sichtbaren Spuren, Gegenständen und Regeln einhergeht. Als Teenagerin hatte man vielleicht noch Freude an einem Knutschfleck am Hals, aber als Erwachsener sind blaue Flecken oder andere Spuren am Körper nicht mehr so alltäglich. Je nachdem, auf welcher Seite man spielt und welche Praktiken man ausübt, können diese mehr oder weniger sichtbar sein. Gerade bei körperlichen Spuren ist der Gedanke an eine missbräuchliche Beziehung nicht fern. Es kann also auch die Partner:in gefährden, wenn Menschen wiederholt blaue Flecken ohne Erklärung bemerken. Gerüchte, die hier entstehen, sind oft schlimmer als die Wahrheit.
In einem BDSM-Machtgefälle gibt es außerdem oft Alltagsregeln, wie das Tragen eines Halsbands oder anderer Symbole sowie besondere Rituale. Vielleicht müssen bestimmte Aufgaben bewältigt werden oder es findet ständige Kontrolle statt. Bemerkt jemand diese Routinen oder versteht nicht, warum man bestimmte Regeln nicht brechen will, ist eine ehrliche Erklärung oft besser, als sich etwas auszudenken. Sonst wird aus der liebevollen Dom die kontrollierende Freundin oder aus dem sadistischen Top ein Missetäter. Um solchen Szenarien vorzubeugen, kann ein einfaches „Hey, ich stehe auf BDSM“ einige Missverständnisse aus dem Weg räumen. Empfehlenswert ist es dann, eine Informationsquelle anzuhängen, um den Personen die Möglichkeit zur weiteren Recherche zu geben.
Je länger man BDSM praktiziert, desto mehr Dinge und Anzeichen sammeln sich an. Das passiert auf der Metaebene von Beziehung und Interaktion, aber auch physisch mit Spielzeug, Kleidung und anderen Dingen. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, seine Wohnung komplett vanilla zu gestalten und immer alles wegzupacken. Wer das aber nicht möchte, kann über ein Outing im engsten Freundeskreis nachdenken.
Macht ein Outing wirklich alles besser?
Verbessert ein BDSM-Outing das eigene Leben oder ist es am Ende ein unnötiges Risiko? Wird es zu einer existenziellen Entscheidung oder hat es denselben Mehrwert wie ein Brita-Wasserfilter? Grundsätzlich ist die eigene Sexualität etwas Privates und sehr Persönliches und hat auf die meisten Menschen in deiner Umgebung keinen direkten Einfluss. Wen man liebt, sagt nichts über die Arbeitskraft aus, und wie man intim ist, nichts über die Lebenseinstellung. Das gilt natürlich nur, solange keine privaten Überschneidungen mit diesen Menschen bestehen. Solange die Sexualität nicht in den eigenen Alltag eingreift und man sich nicht in Gefahr bringt, wenn das Umfeld kinky Details über einen weiß.
Aber ein Outing kann die Lebenssituation verbessern, wenn man vorher Leidensdruck hatte. Es kann bestimmte Kommunikation erleichtern und Gesten und Rituale einfacher gestalten. Bis zu einem gewissen Grad ist es eine Erleichterung, weil man nicht mehr so viel nachdenken muss und keine Angst hat, das Umfeld zu verschrecken. Welchen Mehrwert das Ganze für das eigene Leben hat, hängt aber davon ab, welche Rolle BDSM im eigenen Leben spielt.
Welche Vorteile bringt ein BDSM-Outing?
Oft sind die Vorteile eines Outings langfristig. Die Fragen nach Partner:innen und Lebensentscheidungen ändern sich. Auch das Gefühl, über das eigene Leben zu sprechen, verbessert sich. Man kann offen und ehrlich leben und muss sich nicht mehr verstecken. Die eigene Sexualität muss nicht mehr geleugnet werden, und Dinge müssen nicht zurückgehalten werden. Die Kommunikation mit Freunden und Familie verbessert sich meist, auch der Umgang mit dem oder der Partner:in kann sich verändern, wenn man offen seine Zuneigung zeigen kann. Abgesehen von dem eigenen Umfeld ist es auch leichter, Menschen mit denselben Interessen und Vorlieben kennenzulernen.
Muss ich mich outen wollen?
Die simple Antwort ist: Nein. Für viele Menschen funktioniert es gut, ihre Vorlieben für sich zu behalten. Sie trennen den Alltag von ihrem kinky Leben. Es ist vielleicht vergleichbar mit verschiedenen Freundeskreisen: einem, mit dem man abenteuerliche Eskapaden erlebt hat, und einem anderen, mit dem man die alltäglichen Berufsschwierigkeiten bestreitet. Auch hier kann man trennen, ohne dass es belastend ist.
Manchmal vermutet das Umfeld vielleicht schon etwas und stellt Fragen. Aber wie schon gesagt, ist die eigene Sexualität etwas sehr Persönliches. An dieser Stelle muss man nicht antworten oder kann auf die eigene Privatsphäre hinweisen. Einige Menschen werden hier versuchen zu provozieren, aber es gilt: Ein BDSM-Outing ist ein eigenes Bedürfnis, nicht eines, das durch Nachfragen gefordert werden sollte.
Alles muss raus! Oder?
Nein, es muss nicht alles raus. Deine Sexualität ist keine entzündete Wurzel, die gezogen werden muss. Manchmal bietet es sich auch an, eine Outing-Alternative zu finden, die für alle Beteiligten okay ist. Vielleicht kommen nicht alle Eltern damit zurecht, wenn ihre Kinder auf einen BDSM-Stammtisch gehen. Es ist völlig okay, begrifflich an der Oberfläche zu bleiben und erstmal nur von einem alternativen Lebensstil, Neigungen oder einem besonderen Hobby zu sprechen. Auch wenn man sich für ein Outing entscheidet: Die Details der eigenen BDSM-Vorlieben gehen niemanden etwas an. Niemand muss verraten, welche Rollen man gerne spielt oder welche Praktiken man bevorzugt. Besonders, weil nicht alle Personen solche expliziten Informationen überhaupt erfahren möchten.
Was ein BDSM-Outing fürs Umfeld bedeuten kann
Ein Outing betrifft das ganze Leben. Es verändert einen selbst, aber auch die Umgebung. Meistens verläuft es gut, und nachdem die Menschen ein paar Rückfragen gestellt und ein paar Witze gemacht haben, können sie es akzeptieren, und alles normalisiert sich. In einem normalen Umfeld ist Sexualität ja auch kein Dauerthema. Hier noch eine Anmerkung: Nur weil man sich geoutet hat, muss man nicht als Dr. Sommer herhalten und alles erklären. Das Recht auf Privatsphäre bleibt bestehen.
Nach einem Outing ist es aber auch möglich, dass bestimmte Menschen nie wieder über dieses Thema reden möchten. Sie stellen ihre Grenze auf und wollen nichts weiteres erfahren. Auch diesen Umstand gilt es zu respektieren. Themen rund um BDSM können ihnen unangenehm sein, ihnen ein schlechtes Gefühl oder Unwohlsein bereiten. Also sprecht einfach nicht mehr darüber.
Es lässt sich wohl nicht vermeiden, dass deine Vorlieben auf die deiner Partner:innen abfärben. So wird von deinem Umfeld wahrscheinlich assoziiert, dass deine Partnerin auch auf BDSM steht. Diesen Umstand gilt es dann richtigzustellen. Manchmal möchte dein:e Partner:in sich vielleicht auch noch nicht outen. Dann gilt es, sehr vorsichtig mit der Auswahl der Menschen zu sein, die man aufklärt oder sogar auf das eigene BDSM-Outing zu verzichten, bis der oder die andere soweit ist.
Und was, wenn..?
… die Horrorvorstellung wahr wird und jemand dich verurteilt? Negative Reaktionen können sehr vielfältig sein, vom Angewidertsein über Schock bis hin zu Ablehnung. All diese Reaktionen bestimmen nicht den eigenen Wert. Manche Menschen haben aufgrund ihrer kulturellen und religiösen Ansichten keine Verbindung zu anderen Sexualitäten, andere sind einfach engstirnige Arschlöcher. Diese Menschen legen nicht fest, ob deine Sexualität und Vorlieben schädlich oder falsch sind. Deine Bedürfnisse sind normal und in Ordnung.
In einigen Familien kann es zu Ausschreitungen kommen oder vielleicht sogar zu einem erzwungenen Abstand. In Deutschland gibt es zum Glück viele Hilfsangebote zu diesem Thema. Manchmal kann eine Nacht bei Freunden die Wogen schon glätten. Manchmal hilft eine Person, die zwischen euch vermittelt, und manchmal gibt es einfach nichts, das man tun kann. Aber das ist dann auch ok, denn wenn diese Menschen euch nicht in Gänze akzeptieren, dann haben sie langfristig nichts in eurem Leben verloren.